13. April 2019
“Stille finden”
– Katjas Erfolgsgeschichte
Am Jahresanfang war ich mir noch sicher. Ein Schweigeseminar im Kloster wird mir im Mai gut tun. Es heißt doch immer – gerade im größten Chaos braucht es eine Auszeit um innezuhalten. Das sagt sich einfach, besonders am Jahresanfang, wenn die Mindesthaltbarkeit der guten Vorsätze noch nicht abgelaufen ist. Buchen geht ja schnell.
Und ja, das Chaos im Mai war groß. Viel Arbeit, viel Umzug, viel Anspannung, obendrauf natürlich der normale Familienwahnsinn mit zwei Jungs, Schule und Fußballverein. Ich verfluchte mein Jahresanfangshoch und diese alltagsferne Vorstellung von Stille-Inseln im Alltag. Doch noch stornieren? Nee, das dann doch wieder nicht.
Was erwartet mich da eigentlich? Eine kurze Einführung in das Konzept der „Oase der Stille“, eine Gruppe mit fremden Menschen, anhaltendes Schweigen von Mittwochnachmittag bis Sonntagvormittag. Und in der Zwischenzeit? Meditation im Sitzen und Gehen, Ansprachen durch die erfahrene Zen-Meisterin und Pastorin, gemeinsames Essen im Schweigen, Qigong-Übungen und viel freie Zeit zwischendurch. Also packe ich reichlich Lesestoff und Schreibutensilien ein. Langweilen will ich mich nicht.
Ich lasse mein Handy zu Hause und vermisse es bereits in der Bahn und im Bus. Wie ist noch mal der genaue Weg von der Bushaltestelle zum Kloster? Eigentlich würde ich jetzt Google fragen, jetzt frage ich einen alten Mann, der mir auf der einsamen kleinen Straße entgegen kommt. Auch ohne Google komme ich rechtzeitig an.
Schön gelegen ist das Kloster, aber was ist das? Straßenlärm? Die Autobahn ist nicht weit entfernt. Das passt nicht in meine Erwartung von Kloster und Stille. Mein kleines Zimmer liegt im Bildungshaus des Klosters mit Blick ins Grüne. Es ist schlicht eingerichtet und das spricht mich an.
Bevor das erste Treffen stattfindet, erkunde ich die Klosteranlage, schlendere durch den weitläufigen Garten und setzte ich mich auf eine Bank. Hier bleibe ich also die nächsten Tage, denke ich, und es fühlt sich gut an.
Die Sitz- und Gehmeditationen gefallen mir. Aber am Freitag wird es mir plötzlich zu viel. Mitten in der Meditation spüre ich Wut in mir aufsteigen. Wut auf alle, denen es scheinbar so leicht fällt. Wütend auf die Stille. Am liebsten würde ich aufstehen und laut schreien, tue es aber natürlich nicht. Am Nachmittag gehe ich in einen Austausch mit der Zen-Meisterin. Sie lächelt weise und sagt, dass eine solche Reaktion ganz normal ist und ich mir auch dieses Gefühl erlauben soll, dann wird es vergehen.
Und so ist es. Die nächste Meditation verläuft ganz anders, die Wut ist weg und ich werde ganz ruhig. Das bleibt so bis zum Ende des Seminars.
Gelesen habe ich übrigens keine einzige Seite. Langeweile? Fehlanzeige. Erstaunlich, wie leicht es mir fällt zu schweigen und wie gut es sich anfühlt. Ich verspüre keinen Drang mich mitzuteilen und würde am liebsten weitermachen. Selbst das Schweigen beim Essen, das sich anfangs sehr fremd anfühlt, ist völlig ok. In den Tagen nach dem Seminar fällt mir auf, wie viel Überflüssiges im Alltag geredet wird und eins steht fest – es war eine gute Entscheidung, die Stille im Chaos zu suchen.